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Über die zentrale Rolle politischer Stakeholder

Wie können Unternehmen und Institutionen auf die neue Politisierung der Stakeholderlandschaft reagieren? Welche Verantwortung haben sie gegenüber der Gesellschaft? Wie können sie durch transparente, authentische Kommunikationsarbeit ihre Handlungsfreiheit sichern? Auf diese Fragen formuliert Christian Löcker in seinem Gastbeitrag für den >kommunikationsmanager Antworten.

Jede Organisation berührt in ihren Aktivitäten die Interessen diverser gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Akteure. Darüber hinaus dürfen Organisationen nicht als Blackboxes verstanden werden, die lediglich externe Interessengruppen haben. Entscheidend sind zusätzlich die internen Stakeholder. Um bestehen zu können und handlungsfähig zu bleiben, müssen wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Akteure einen konstanten Austausch mit allen relevanten Interessengruppen führen.

Die soziologischen und technischen Entwicklungen des neuen Millenniums haben den Druck auf Unternehmen, nachhaltig und transparent, verantwortungsvoll und sinnhaft zu operieren, immens gesteigert. Auf der einen Seite sind die Ansprüche, die insbesondere gesellschaftliche und politische Interessenten an Unternehmen in Bezug auf diese Faktoren stellen, gestiegen, auf der anderen Seite sind diese Interessengruppen in der Lage, stärkere Druckmittel einzusetzen, um diese Ansprüche durchzusetzen.

 

 

Integrierte Perspektive

Gleichzeitig verschwimmen die inhaltlichen Grenzen zwischen unterschiedlichen Stakeholdergruppen zunehmend. So können interne und externe, öffentliche und private Interessengruppen inhaltlich eng verwandte Anknüpfungspunkte mit einer Organisation haben. Wenn die Schnittmenge ihrer Interessen steigt, müssen diese verstärkt aus einer integrierten Perspektive betrachtet werden.

Die klassische Organisationsstruktur von Kommunikationsabteilungen ist auf die formelle Natur der Interessengruppen ausgerichtet. Demnach gibt es Verantwortungsbereiche für interne und externe Stakeholder, Presse-, Politik- und Investorenkontakte, Produkte und Sparten etc. Im Kontext der dynamischen Entwicklung der Stakeholder mutet diese Organisationsstruktur allerdings zunehmend schwerfällig an. Kommunikationsrelevante Aufgaben und Projekte lassen sich immer schwerer konkreten Formationen zuordnen. Ein wichtiges Thema eines erfolgskritischen Stakeholders kann relevant für Public Affairs, Finanzkommunikation und Media Relations zugleich sein. Allerdings sind diese Bereiche in der herkömmlichen Perspektive auf Kommunikationsarbeit nicht integriert konzeptioniert, und die Abwicklung eines solchen Projektes kann langwierig und deutlich zu sehr prozess- und zu wenig ergebnisorientiert sein. Bis eine Lösung gefunden wurde, hat sich gegebenenfalls die Ausgangslage dramatisch verändert. Die Ressortlogik muss sich daher der Inhaltslogik anpassen und gezielt und flexibel auf die Bedürfnisse und Ansprüche der Interessengruppen reagieren und diese im besten Fall antizipieren, um entsprechend agieren zu können. Viele Organisationen reagieren bereits darauf mit unterschiedlichen Organisationsvarianten. Natürlich erfordert dies ein Umdenken bei Zuständigkeiten, Qualifikation und Kontrolle.

Der Ansatz, Kommunikationsarbeit anhand der Bedürfnisse und Anforderungen aller genannten Interessengruppen zu organisieren und durchzuführen, lässt sich unter dem Begriff Corporate Affairs zusammenfassen. Durch diese integrierte Perspektive können inhaltlich und strukturell „harte Grenzen” abgebaut, Projekte intelligenter und ergebnisführender gesteuert und insbesondere die Interessen der Stakeholder besser berücksichtigt werden.

 

Diversität und Inklusion

Unternehmen werden schon lange in die Pflicht genommen, über ihre rein ökonomische Sinnebene hinaus einen gesellschaftlichen Mehrwert zu leisten. Über Branchen und Unternehmensgrößen hinweg ist beispielsweise der Mehrwert für die primären internen Stakeholder vergleichbar: die Mitarbeiter. Über die rein operativen Tätigkeiten hinaus wird hier immer stärker vorausgesetzt, dass Arbeitgeber Verantwortung für die körperliche und mentale Gesundheit ihrer Angestellten übernehmen und ihnen Möglichkeiten bieten, sich fachlich zu entfalten und persönlich zu wachsen. Hier spielen auch die Themen Diversität und Inklusion eine grundlegende Rolle. Es ist nur konsequent, dass gerade große Konzerne, die einen kritischen Einfluss auf die Gesellschaft haben, auch in ihrer internen Organisation deren Querschnitt widerspiegeln wollen. Tatsächlich belegt die Datenlage einen Zuwachs an Produktivität in Organisationen, die diesen Zielen entsprechen. Die Kehrseite ist die Abgabe von Eigenverantwortung, die besorgniserregend werden kann.

Menschen ziehen ihre Motivation nicht aus der Entsprechung der rein technischen Voraussetzungen ihres Tätigkeitsprofils heraus, sondern erwarten mehr. Dazu gehören vor allem, aber nicht exklusiv, der Wunsch nach einer sinnstiftenden Tätigkeit, nach Anerkennung und einem Gefühl der Teilhabe. Diese Bedürfnisse dürfen keinesfalls als reine Schönwetterthemen verstanden werden, sondern haben einen direkten Einfluss auf die Performance eines Unternehmens, indem sie Selbstwirksamkeit eröffnen.

Gleichzeitig werden Unternehmen verstärkt durch externe Interessengruppen handfest zur Verantwortung gezogen. Entscheidungen, die auf Kosten der Nachhaltigkeit gehen, werden von Kunden oder dem Kapitalmarkt direkt spürbar sanktioniert werden, die digitalen Plattformen bilden einen weiteren Druckpunkt. Hier geht es wiederum darum, den Diskurs zu beobachten und zu bewerten, um schlüssige Handlungsableitungen und eine konsistente Haltung zu entwickeln. Der Kommunikationsbereich ist besonders geeignet, diesen Prozess zu erleichtern.

Im wirtschaftspolitischen Diskurs kommt ein neuer Regulierungswille auf, der weit in die Mitte der politischen Formationen hineinreicht und der von Teilen der Gesellschaft aktiv gefordert wird. Dies geht so weit, dass ganzen Geschäftsmodellen die Profitabilitätsgrundlage entzogen wird. Kommunikation ist der Bereich in Unternehmen und Institutionen, der die Antworten darauf formulieren, organisieren und moderieren muss. Eine entsprechende Organisation und Arbeitsweise innerhalb der Kommunikationsabteilung ausgerichtet an den Interessen der Stakeholder ist hier entscheidend. Ohne die passende Schnittstelle zum strategischen Zentrum einer Organisation fehlt allerdings die nötige Zugkraft, um Wirksamkeit zu entfalten.  

 

Nachhaltige Kommunikationsarbeit 

Weil der Erfolg der Kommunikation von großer Tragweite ist, muss dieser Bereich als Funktion der Strategie verstanden werden und entsprechend organisatorisch und inhaltlich eingebettet werden. Ein regelmäßiges Steering zwischen der Kommunikations-, der Politik- und der Strategieabteilung gemeinsam mit der Organisationsleitung ist für die zielgruppengerechte Vermittlung der strategischen Inhalte unerlässlich. Dafür sollte die Fachabteilung vertikal direkt an die Organisationsleitung berichten und über gemeinsame Ziele und interne Gruppen horizontal eng mit dem Strategieressort vernetzt sein.

Selbstverständlich wird jedwede Strategie und werden viele Maßnahmen die Interessen bestimmter Stakeholder verletzen. Weder ist es möglich, alle Ansprüche zu harmonisieren, noch kann dies vernünftigerweise gewollt werden. Gerade in solchen Interessenkonflikten kommt der Kommunikation eine entscheidende Rolle bei der Instandhaltung der Handlungsfähigkeit einer Organisation zu. Durch einen glaubwürdigen und transparenten Austausch werden kontroverse Aktivitäten zwar in der Regel nicht verhindert, allerdings können sie so im Kontext der gesamten Strategie moderiert und somit für Interessengruppen nachvollziehbar gemacht werden. Auch wenn sich dadurch die Beziehungen zu bestimmten Interessengruppen mittelfristig verschlechtern, werden auf lange Sicht doch die Integrität der Organisation und deren legitime Interessen gewahrt. Operativ muss die schlüssige Vermittlung der zentralen Botschaften und grundlegenden Entscheidungen der Organisationsstrategie an alle relevanten Stakeholder gewährleistet sein.

Ein weiterer wichtiger Partner findet sich in HR. Speziell in Bezug auf Leadership-Themen und organisationsinterne Diskurse ist eine produktive Zusammenarbeit  zwischen  Kommunikation  und  Personal unabdingbar. Wir beobachten immer wieder Diskussionen um die richtige Beheimatung von Themen wie Engagement, Leadership, Kultur etc. Die Frage ist dabei aber nicht, ob dies nun in den einen oder anderen Bereich gehört, sondern wie Mechanismen synchronisiert werden können. Agile Managementmethoden ermöglichen hier eine neue Form der Kollaboration.

Die Corona-Pandemie erweist sich als Stresstest für eine nachhaltige Kommunikationsarbeit. Erforderlich sind Klarheit, konsistente Prozesse über alle Stakeholder-Segmente hinweg im Rahmen einer Lage, die den Rückgriff auf analoge Situationen kaum erlaubt. Politische Kontroversen, wie die um Gerechtigkeit und Globalisierung, nehmen an Schärfe zu, und es bilden sich emotional getriebene „Vorbehaltsallianzen“, denen mit reiner Informationsarbeit nicht adäquat begegnet werden kann.

 

Handlungsfreiheit sichern

Einige Unternehmen und Institutionen mussten durch intransparente Informationen und diffuse Entscheidungen teils massiven Vertrauensverlust bei internen und externen Stakeholdern hinnehmen. Andere konnten sich durch offene und sinnhafte Kommunikation als glaubwürdiger Dienstleister, Partner und Arbeitgeber positionieren. Hier beobachten wir, dass insbesondere Akteure mit einer integrierten Kommunikation auf Strategieebene robust, flexibel und effizient operieren und sich so im Kontext der Branchen- und Marktsituation ihre relative Handlungsfreiheit sichern können.

Industrie- und Geographie-übergreifend stellen wir fest, dass der Corporate- Affairs-Ansatz zu einer integrierten Kommunikationsarbeit von einigen Pionieren bereits gedacht und umgesetzt wurde und die kompetitiven Vorteile dieser Perspektive sich herauskristallisieren. Solch grundlegende Transformationsprozesse brauchen Engagement, Kreativität und vor allem Geduld. Hier zeichnet sich ein Trend ab, der uns über die nächsten Jahre begleiten wird.